Kapitel 7: Folgerungen für die Prüfung astrologischer Aussagen

Esoterische Astrologie bedarf keiner Prüfung und ist ihrer per definitionem auch nicht fähig. Der Versuch, den Kosmos-Bios-Zusammenhang physisch-kausal aufzufassen, ist unvereinbar mit der Art, wie Astrologie praktisch betrieben wird: Entweder die Astrologie, wie wir sie betreiben, ist richtig, dann kann sie nicht auf "Wirkungen" der Planeten auf Organismen zurückgeführt werden - oder die Astrologie basiert ausschließlich auf solchen (bisher noch nicht erkannten) Wirkungen, dann kann die Art, in der wir sie betreiben, nicht richtig sein.

Am befriedigendsten im Sinne des heutigen Wissenschaftsverständnisses ist die sog. Neo-Astrologie. Streng genug betrieben sind ihre Ergebnisse genau so "sicher" wie die Methoden der Statistik, auf die sie sich ausschließlich stützt - die einzige Schwierigkeit besteht in einer möglicherweise fehlerhaften oder inadäquaten Verwendung statistischer Prozeduren. Die von ihr benutzten Grunddaten sind eindeutig definiert (z. B.: Mitglied der Akademie Française, s. u.), die Interpretation der Ergebnisse folgt den auch in der Psychologie allgemein akzeptierten Regeln. Es verwundert nicht, daß Wissenschaftler wie EYSENCK, der selbst an der Entwicklung der heute gültigen "Regeln wissenschaftlichen Forschens" in der akademischen Psychologie maßgeblichen Anteil hat, die Ergebnisse der "Neo-Astrologie" für die einzigen ernstzunehmenden Ergebnisse im Bereich der astrologischen Forschung überhaupt hält (EYSENCK/NIAS 1982, 294ff).

Die GAUQUELINs untersuchen jedoch nicht wirklich die Astrologie, zumindest nicht diejenige, die ich als Symbolische Astrologie weiter oben skizziert habe. Wir finden in ihren Schriften auch keine Erörterungen darüber, ob die Merkmale, die sie mit den Planeten verknüpfen, eine angemessene "Übersetzung" der Bedeutung der Planeten darstellt. Dieses Problem ergibt sich für sie gar nicht, da sie zu den Entsprechungen auf rein empirischem Wege gelangen. Dem quantitativ-statistischen Ansatz zufolge kommen sie dann (zwangsläufig) dazu, die Bedeutung der astrologischen Symbole als eine Sammlung von Entsprechungen aufzufassen. Wie wir gesehen haben, ist es wahrscheinlich, daß dabei etwas von dem, was diese Symbole ausdrücken, verlorengeht.

Wenn man, eingedenk dieser Begrenzung, ihre Ergebnisse mit der nötigen Vorsicht interpretiert, so sind sie von unschätzbarem Wert, zeigen sie doch mit gegenwärtig in den etablierten Wissenschaften allgemein anerkannten Mitteln, daß die Existenz eines Zusammenhangs zwischen der Stellung der Planeten im Moment der Geburt eines Menschen und dem Leben dieses Menschen mit gleichem Recht eine wissenschaftliche Tatsache genannt werden darf wie alle anderen in Natur- und Sozialwissenschaften erforschten Zusammenhänge, deren "Existenz-Beweis" sich auf statistische Untersuchungen stützt. Wie ERTEL (1986) überzeugend darlegt, bilden die Ergebnisse aller GAUQUELIN'schen Untersuchungen ein "Netzwerk von Relationen, das sich mit seiner dynamischen Struktur von anderen empirisch-theoretischen Netzwerken der Naturwissenschaft, die sich historisch bewährt haben, in den Grundzügen nicht unterscheidet." (S. 109)
Diese Tatsache, daß die Ergebnisse mit anerkannten wissenschaftlichen Methoden gewonnen wurden, wirkt auf viele Wissenschaftler aus dem "Lager der Gegner" der Astrologie besonders provozierend. Daher wird die Arbeit der GAUQUELINs auch erbittert bekämpft (siehe EYSENCK/NIAS 1982, 279ff), doch: "Dies übersehen zu haben (die Netzstruktur der GAUQUELIN'schen Ergebnisse, Anm. d. Verf.) gehört zu den größten Fehlern der Komitees, die glaubten, sich ihrer Aufgabe (der Widerlegung GAUQUELINs, Anm. d. Verf.) mit einem einzigen Überprüfungsfall entledigen zu können. Gegenüber den Dimensionen des empirisch bereits ausgebauten GAUQUELIN-Programms vermag ein punktueller Einzeltest nur wenig auszurichten." (ERTEL 1986, 109)

Ähnlich wie Psychologen, die ausgehend vom dem Bedürfnis, das Phänomen der menschlichen Intelligenz zu untersuchen, dazu übergingen, sich den Gegenstand ihrer Untersuchung selbst zu "konstruieren": Intelligenz ist das, was der Intelligenztest mißt, konstruieren sich auch die GAUQUELINs, ausgehend von dem Bedürfnis, die Astrologie zu untersuchen, ihren Gegenstand selbst durch die Art ihrer Definitionen. In beiden Fällen besteht die Gefahr, daß der eigentliche Untersuchungsgegenstand dabei "verfehlt" wird, daß man die an einem eingeschränkten Begriff des Gegenstandes gewonnenen Erkenntnisse, deren Bezug zum ursprünglichen Gegenstand im dunkeln bleibt, auf den Gegenstand als Ganzen überträgt.

Kämpft also der strikt empirische Zugang mit dem (ungelösten) Problem einer angemessenen Definition der Bedeutung der astrologischen Symbole, so kämpft die Symbolische Astrologie mit dem (ungelösten) Problem, ein verläßliches Kriterium für die Angemessenheit einer Deutung zu finden. Vielleicht sind ja beide Wege nicht einander ausschließend sondern "komplementär"...

Die "Verifikations-Aporie" der Symbolischen Astrologie

Man könnte aus dem weiter oben angeführten Beispiel: eine Klientin hatte die Deutung eines falsch berechneten Horoskops als sehr "stimmig" empfunden, den Schluß ziehen, derartige "Evidenz-Erlebnisse" seien grundsätzlich trügerisch. Dieser Schluß wäre jedoch sehr voreilig, insbesondere deshalb, weil es auch gegenteilige Beispiele gibt, Beispiele also, die solche Evidenzerlebnisse als recht verläßlich erscheinen lassen. Ich möchte auch dies durch ein Beispiel aus meiner Praxis verdeutlichen:

Ein Klient - wie sich später herausstellte, ein Pfarrer -, der bei mir ein schriftliches sog. "Blind-Gutachten" in Auftrag gegeben hatte, weil er neugierig war, was Astrologie leisten könne, rief mich direkt nach Erhalt dieses Gutachtens an, um mir seine Unzufriedenheit mitzuteilen: manches stimme, anderes sei total falsch, das Gutachten sei "weder Fisch noch Fleisch". Der Klient hatte mir seine Geburtszeit ungenau angegeben, so daß ich ihn bat, doch beim Standesamt seines Geburtsortes sicherheitshalber noch einmal nachzufragen. Es stellte sich tatsächlich heraus, daß die Angabe, die er von seiner Mutter erfahren hatte, um vier Stunden von der standesamtlichen Angabe abwich. Er bestellte daraufhin ein zweites ausführliches Gutachten auf der Grundlage der standesamtlichen Geburtszeit-Angabe. Auch in diesem Fall rief er mich nach Erhalt des Gutachtens sogleich an. Diesmal war er begeistert; und auch sein Freund, dem er das Gutachten ebenfalls zu lesen gegeben hatte, fand es treffend. Ich benutze die zwei Gutachten gern in Seminaren zur Demonstration der Tatsache, daß ein Unterschied von 4 Stunden in der Geburtszeit die Struktur des Horoskops so stark verändert, daß der Unterschied zu zwei nahezu entgegengesetzten Deutungen führen kann. - Die Zustimmung zum zweiten Gutachten wird in diesem Fall dadurch "aufgewertet", daß der Klient durch die Ablehnung des ersten Gutachtens bewiesen hat, daß er kritikfähig ist und nicht dazu neigt, beliebige Beschreibungen seiner Person als "stimmig" zu akzeptieren.

Dennoch: Sowohl die Zustimmung wie auch die Ablehnung einer Deutung durch einen Klienten können schon deshalb nicht als alleiniges Kriterium für Zutreffen oder Nicht-Zutreffen der Deutung akzeptiert werden, weil es keineswegs gewährleistet ist, daß sich der Klient in jedem Fall selbst gut genug einschätzen kann, um diese Entscheidung zu treffen. Wenn ein Klient eine Psychotherapie erhalten hat, so wird seine Selbstwahrnehmung nach der Therapie in den meisten Fallen anders sein als zuvor. Diese unterschiedliche Selbstwahrnehmung ist nicht allein Konsequenz davon, daß er sich (wie zu hoffen ist) geändert hat, sondern sie beinhaltet auch eine größere Sensibilität für eigene Bedürfnisse und Motive, weil es ihm leichter fällt, sich diese Bedürfnisse jetzt einzugestehen. Im positivsten Fall beinhaltet sie eine bessere Sensibilität für das, "was er eigentlich ist".

Jeder erfährt an sich selbst, daß er viele Aspekte seines eigenen Wesens als Jugendlicher noch nicht wahrgenommen hat. Manche Wesenszüge werden uns sogar erst sehr spät bewußt, und wir erkennen im Nachhinein, welche Motive uns bei früheren Handlungen geleitet haben, die wir damals nicht hätten angeben können, weil wir uns ihrer nicht bewußt waren (und sein konnten).

Die beschriebene Situation läuft auf eine Aporie hinaus: Die Zustimmung des Klienten zu einer Deutung ist kein grundsätzlich verläßliches Kriterium, da nicht gewährleistet ist, daß er sein "Wesen" bewußt beschreiben kann. Eine objektive Erfassung der Persönlichkeits-Struktur ist ebenfalls nicht möglich, wie ich an anderer Stelle ausführlich dargelegt habe (NIEHENKE 1987). Also gibt es überhaupt kein verläßliches Kriterium für die Frage des Zutreffens oder Nicht-Zutreffens einer astrologischen Deutung.

Da die Zuverlässigkeit einer Entscheidung über das Zutreffen oder Nicht-Zutreffen einer astrologischen Deutung auf der Basis quantitativ-statistischer Methoden ebenfalls nicht gewährleistet werden kann (auch dazu siehe NIEHENKE 1987), stehen wir vor der Situation, daß eine zuverlässige Entscheidung über das Zutreffen einer astrologischen Deutung weder auf der Basis des "ganzheitlichen Eindrucks" noch auf der Basis quantitativ-statistischer Methoden möglich ist . Diese Folgerung ist keine "Spitzfindigkeit": Sie ist ein konkretes Beispiel für das in der modernen Erkenntnistheorie sich durchsetzende Bewußtsein, daß es keine Wahrheitsgarantie gibt . Damit ist sie vielleicht auch eine Erklärung dafür, daß sich heute wie vor 2000 Jahren zwei Gruppen von Menschen gegenüberstehen: die einen halten Astrologie für möglich oder aufgrund ihres Begriffs von Erfahrung sogar für erwiesen, die anderen halten sie aufgrund ihres Begriffs von Erfahrung für widerlegt oder gar von vornherein für unsinnig (Aberglauben).

Diese für wissenschaftliches Arbeiten auch in anderen Bereichen unvermeidbare Aporie läßt verschiedene Konsequenzen denkbar erscheinen: Man kann sich entscheiden, nur solche Sachverhalte wissenschaftlich zu untersuchen, die (möglichst) eindeutig operationalisierbar sind. Diese Begrenzung ist charakteristisch für die Naturwissenschaften, aber auch für die "akademische Psychologie" - und auch eine "akademische Astrologie". In diesem Fall schränkt man der Eindeutigkeit wegen freiwillig den Bereich von Erfahrungen ein, und kann daher über das jenseits dieses Bereiches liegende wissenschaftlich keine Aussagen machen. Wenn ich Wissenschaft in diesem Sinne verstehen will, ist eine wissenschaftliche Entscheidung über die Behauptungen der (Symbolischen) Astrologie nicht möglich.

Wenn man aber, im Bewußtsein der ohnehin nicht vermeidbaren Relativität und Standpunkt-Gebundenheit einer jeden wissenschaftlichen Erkenntnis, methodische Prinzipien nicht als "Richter", sondern als "Helfer" betrachtet, so kommt man zwangsläufig zur Auffassung der "Komplementarität" unterschiedlicher Forschungswege. Es geht dann nicht mehr um die Frage einer Entscheidung über Sein oder Nicht-Sein auf der Basis irgendeiner einzelnen Methode, sondern um die Frage: Wie erscheint der Untersuchungsgegenstand im Lichte der verschiedenen Methoden, die mir möglicherweise unterschiedliche Aspekte der Realität offenlegen? Und mit der "Kraft meiner Vernunft" fälle ich dann aufgrund dieser verschiedenen "Ansichten" mein Urteil.

Die zuletzt genannte Auffassung ist die einzig begründbare Konsequenz aus der Erkenntnis, daß es keine "Wahrheitsgarantie" gibt. Das "experimentum crucis", mit dessen Hilfe die Astrologie bewiesen oder widerlegt werden könnte, gibt es nicht! Astrologische Forschung besteht im Sammeln von Belegen für und gegen die astrologischen Behauptungen mit den unterschiedlichsten Methoden. Das Bewußtsein, daß keine Methode dabei fehlerfrei ist, läßt die Beiträge einer jeden Methode bedeutsam werden.

"Die Naturwissenschaft ist meinem Gefühl nach nicht weit genug entwickelt, um sagen zu können, daß das nicht wahr sein kann - und auch nicht weit genug entwickelt, um zu sagen, wie es zusammenhängt, wenn es wahr ist." (WEIZSÄCKER 1976, in einem Interview über Astrologie)




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